Klaus Karlbauer: Die Allegorie der Performance

GTT machte mich nach dem Konzert in der Kunsthalle/ Projectspace (16.06.06) darauf aufmerksam, dass unsere Performance diesmal auf eine spezielle Art sehr authentisch war, weil die Raumsituation und das Publikum quasi mitgespielt haben:

„Konzertbeginn knapp vor Mitternacht am bisher heißesten Abend des Jahres. Die Besucher, die es tatsächlich bis zum Aufführungsort schafften (wie viele unterwegs bzw. vor dem Start bereits aufgegeben hatten, das werden wir wohl niemals erfahren – Einzelne waren bereits geständig) – diese Tapferen versanken bereits vor Beginn der Performance in den zu Fußball – WM Zwecken Lounge – artig arrangierten Sofas, aus denen sie sich in weiterer Folge auch nicht mehr erhoben, außer manchen, denen angesichts der Umstände jegliches noch verbliebene Aufmerksamkeitspotential restlos abhanden gekommen war, und die die erstbeste Chance nützten, um sich ermattet gen Open Air – Bierschank abzusetzen“.

Mit einer derartigen Situation im Augenwinkel lässt es sich schwerlich „relaxt performen (!?)“ – wir Musiker konnten ja wegschauen, aber Rosivita hatte alles knallhart vor Augen! Wir (die Band) trugen es mit Würde im Sinne des taoistischen “ Wu Wei „, was in etwa dem Musil’schen „seinesgleichen geschehen lassen ohne aktiv gestaltend einzugreifen“ entspricht.

Rosivitas Extrovertiertheit schien scheinbar im Äther zu verpuffen:
„Ich sah das Publikum, das Publikum sah mich an, aber ich spürte keine Reaktion. Durch die offene Bühnen – Zuschauersituation schaute ich direkt auf einen erleuchteten Glaseingang, sah Leute kommen, kurz mal reinschauen und wieder gehen. Ich kippte ständig hin und her und wurde zur Beobachterin meiner Selbst, zur Beobachterin der Performerin und zur Beobachterin der Zuschauenden.Ich wollte der Performerin ständig mitteilen: Jetzt geh schon, hau ab,es reicht! Aber das Dornröschen hatte einen Auftrag. Nur deshalb konnte sie dies mit allem Aufgebot ihrer Tugend verhindern.
Wie viele Personen gab es auf der Bühne? Wer in diesem Stück war eigentlich ich?“
(Rosivita)

Tatsächlich kamen im Anschluss an das Konzert aus den verbliebenen, erschöpften Besucherkörpern durchwegs sehr gute Feedbacks, was mich persönlich sehr überraschte, als ich während des Konzertes ebenfalls keinerlei Resonanz zu spüren vermeinte…?

Was ich damit jedoch sagen will, um auf GTTs Bemerkung zurückzukommen, es gab keinerlei Trennung mehr zwischen Bühne und Publikum, alles verschmolz zu einer Realperformance, die sich erstaunlich genau an die Vorlage, dem kurz angerissenen Plot zu Nachtblau, hält:

„Wir spielen hier seit Jahren jeden Tag dieselbe Musik. Jeden Tag treffen wir uns hier am selben Ort, dieselben Musiker mit denselben Instrument , um dieselben Lieder zu spielen. Und immer dasselbe Publikum. Nichts verändert sich, NIE. Alles bleibt gleich. So ist es, so war es. So würde es immer gewesen sein“
(Nachtblau – Vorrede des Bandleaders)

Und genau hier ist der Schnittpunkt zur 3. (oder vielleicht ist es bereits die 4.) Dimension: Die vorgefundene Situation in seiner Gesamtheit ist das Stück. Alles zusammen gehört ausgeschnitten und unverändert auf eine große Bühne transferiert (copy and paste). Hinter dem Rücken des „Bühnen – Publikums“ befindet sich dann das eigentliche Publikum im Sinne von Vermeers – “ Allegorie der Malerei “ :

Die Performerin sieht der Performerin beim performen zu. Das Publikum sieht dem Publikum beim Publikum – Sein über die Schulter, um sich letztendlich mit dem eigentlichen Anlass des Publikum – Vorhandenseins zu konfrontieren oder schlichtweg einzuschlafen, was durchaus eine mögliche Rezeptionshaltung für NACHTBLAU wäre!? Oder ganz im Gegenteil: “ Aufspringen, die Schläfer Schläfer sein lassen und ab – rocken“! Auch das ist möglich, auch das haben wir schon erlebt, und vor allem: davon handelt Nachtblau.

Klaus Karlbauer, Wien im Juni 2006